Das Plakat

https://unsplash.com/photos/i--IN3cvEjg

„Jemand hat ein handgemaltes Plakat an den Baum gehängt. Mit bunten Heftzwecken. Es ist weiß, etwa Din A3 groß. Und es enthält nur ein Wort: Warum? Ich bleibe stehen. Der Baum ist geschmückt wie eine Wallfahrtskapelle. Überall Kerzen und Zettelchen mit Texten. Bildern. Fotos. Ein paar Kuscheltiere. Ein Kreuz mit vier Namen steht gleich nebenan. Ich erinnere mich: Hier an diesem Baum hat es vor ein paar Wochen einen schweren Autounfall gegeben. Vier junge Menschen haben damals ihr Leben verloren. Keiner älter als zwanzig Jahre. Warum? Fragt mich dieses Schild. Ich bin ratlos: Warum passiert so etwas? Warum lässt Gott so etwas zu? Ist er vielleicht gar nicht so allmächtig, wie ich denke? Oder gar nicht so liebevoll? Warum? fragt mich das Plakat. Gibt es darauf überhaupt eine Antwort? Und selbst wenn es sie gibt – kann sie wirklich mein Entsetzen zum Schweigen bringen? Könnte ich sagen: „Ach so ist das, lieber Gott. Das hast du dir dabei gedacht. Na, dann ist es ja nicht so schlimm.“ Vielleicht ist „Warum?“ einfach die falsche Frage. Vielleicht sollte ich besser fragen: „Woher?“ Zum Beispiel: Woher kommt Hilfe für mich in meiner Zerbrechlichkeit? Woher kommt Halt in meiner Sorge? Trost in meiner Trauer? Denn: Das „Warum?“ nicht zu kennen, heißt doch nicht, trostlos leben zu müssen. Oder ohne Hoffnung. Mir fällt ein Satz aus der Bibel ein: „Gott ist es, von dem alles kommt, durch den alles besteht und in dem alles sein Ziel hat.“ (Röm 11,36)  Paulus hat das gesagt. Für ihn ist klar: Auch wenn das „Warum?“ mir immer verborgen bleiben wird, kann ich doch sicher sein: Bei Gott gibt es ein gutes Ziel, auf das mein Leben hinausläuft. Und in dieser Gewissheit finde ich den Trost, den ich zum Leben brauche. Kann das auch eine Antwort für mich sein? In den Momenten, in denen ich traurig bin. In denen die Welt mir zu schwer erscheint. Wenn ich dann so vertrauen könnte, könnte ich mich mit all meiner Zerbrechlichkeit und Ratlosigkeit und Sorge einfach in Gottes Arme fallen lassen. Wie ein Kind sich in die Arme seiner Mutter wirft, wenn es traurig ist. Weil ich weiß: Egal, was kommt – Gott fängt mich auf.“

Dieser Beitrag erschien am 29.8.2018 bei Kirche im WDR. Autor: Thomas Schrödter