Die Seele sichern

corona virus

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„Ich bin wie in Trance. Infiziert von Corona. Stundenlang sehe ich die Sondersendungen – Abend für Abend. Leide mit den Experten, deren Augenringe immer tiefer werden. Beobachte die Schweißperlen auf ihrer Stirn, die roten Flecken an ihrem Hals. Ich frage mich: warum? Ist es im Studio so heiß oder sind auch sie nervös. Nervös, weil sie so tun, als ob sie die Krise im Griff haben, aber haben sie das? Können sie das überhaupt? Die System relevanten Experten: Mediziner, Wissenschaftler, Ordnungskräfte, Politiker. Frauen eingeschlossen. So tun als ob und trotzdem müssen sie was tun. Das ist schwer. Das ist die Erfahrung von Ohnmacht. Und ich frage mich, wo die anderen sind. Die anderen System relevanten Experten und Expertinnen, deren Alltag der Umgang mit Ohnmacht ist. Mit Sterben, mit Tod und mit Weiterleben trotz all dem. Wo sind die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Priester? „Kirche ist System relevant“, heißt es diese Tage. Stimmt! Das möchte ich gerne sehen. Auch auf dem Bildschirm. In der Expertenrunde. Wo ist die Krankenhausseelsorgerin, die auf Intensiv geht, der Priester, der die letzte Ölung gibt. Es geht doch jetzt auch um das Seelenheil, um die verletzten Seelen. Wo ist der Notfallseelsorger, der erzählt, wo man sich hinwenden kann. Von zu Hause aus. Von den Nottelefonen, die die Kirchen jetzt schalten. Wo Experten sitzen, die sich auskennen. Mit Menschen, die Panik schieben, somatisieren, durchdrehen. Die Angst haben, vor Krankheit, Arbeitslosigkeit, Gewalt in der Ehe. Wo sind diese Expertinnen und Experten in den Talkshows? Wann kommen sie öffentlich ins Spiel? Erst wenn es um die Toten geht? Wie schaffen Sie das, so viele Beerdigungen an einem Tag? Nein, Kirche kümmert sich zuerst um die Lebenden. Um die Seelen – wie es ein wenig altmodisch heißt.

Es geht doch jetzt auch um den Seelenfrieden, darum dass Menschen seelisch gestärkt werden. (Damit sie all das durchstehen können, was ist und was noch kommen wird.) Und das gerne auch öffentlich. Nicht nur sonntags im Fernseh-Gottesdienst. Auch unter der Woche, in den Sondersendungen. Damit allen geholfen wird. Den körperlich, wirtschaftlich und seelisch Notleidenden. Denn das ist das, was Gott will und uns gut tut.“

Dieser Beitrag wurde am 25.3.2020 bei Kirche im WDR gesendet. Autorin: Sabine Steinwender