Zweifel

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„Ich zweifle gern.

Ja, Sie haben richtig gehört: Ich zweifle gern.

Ich lasse mir nicht gerne Stories erzählen. Ich frage lieber dreimal nach, wenn ich merke, hier stimmt doch was nicht.

Ich vertrete gerne eine Gegenmeinung, während alle anderen in gedankenverlorenes Nicken gleiten. Mein Zweifeln hält mich hungrig, wach und kritisch.

Und dann gibt es da diese andere Seite in mir. Die Seite, die überhaupt nicht zweifeln will, sondern glauben.

Mich nervt es, dass es mir schwer fällt, anderen zu vertrauen.

Dass ich nicht weiß, ob ich das nun glauben soll oder nicht, was andere mir erzählen.

Und mich nervt es, dass es mir schwer fällt, mir selbst zu vertrauen.

Dass ich oft nicht weiß, ist mein Tun gut und richtig.

Lange Zeit galt der Zweifel als Fehler, ja sogar als Krankheit.

Er sollte schnell ausgeräumt werden, und es bestand eine ständige Sorge vor der Verzweiflung.

Doch dann kam die Wende. Zweifel wurde Voraussetzung zur Erkenntnis, eine Bedingung, eine Methode.

Und nun geht es darum, einen Kompromiss zu finden zwischen Zweifeln und Glauben, zwischen Sich- Zurücklehnen und Vertrauen und kritisch in sich Hineinhorchen.

Heute, an Silvester – am Ende dieses Jahres – frage ich mich: Ist mir dieser Spagat zwischen Glauben und Zweifeln gelungen?

Im vergangenen Jahr ist viel passiert, was meinen Glauben auf eine harte Probe gestellt hat. Es ist viel passiert, womit ich niemals gerechnet habe.

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich.

Kurzum: Ich habe nicht so oft das Gefühl gehabt, dass ich mich entspannt zurücklehnen kann und einfach vertrauen kann.

Und selbst als Pfarrerin erwische ich mich dabei, dass ich bete und sage: Gott, wo bist du denn jetzt gerade?

Denn ich glaube daran, dass es Gott eben nicht egal ist, wie es uns geht. Ich glaube daran, dass Gott solidarisch mit uns ist, dass er mit uns weint und ungläubig den Kopf schüttelt über das, was alles in der Welt so passiert.

Und umgekehrt ist Gott eben der ganz Andere. Gott ist der, zu dem ich sagen kann: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ So lautet die Jahreslosung für das kommende Jahr 2020. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“

Ich glaube, dass Gott mir immer wieder die Hand reicht, auch wenn ich mich zweifelnd abwende.

Gott, Du bist der Gott, den wir suchen; sowohl in unserem Glauben als auch in unserem Zweifel.“

Dieser Beitrag erschien am 31.12.2019 bei Kirche im WDR. Autorin: Laura Kadur