Fünf Brote und zwei Fische, und fünftausend Menschen werden satt.

Pfarrer Ungerathen predigte am 22.7.2012 über die Speisung der 5000 als Anfrage Jesu an unsere Solidarität und unsere Haltung gegenüber den Wirtschaftskreisläufen:

Liebe Gemeinde, Fünf Brote und zwei Fische, und fünftausend Menschen werden satt. Wenn wir das heute hören, erscheint sie uns als eine unglaubliche Geschichte…

Worin liegt der tiefere Sinn?

Diese Geschichte war allen Evangelisten so wichtig, dass sie alle darüber berichteten.

Was ist daran denn so wichtig? Hunger?

Menschen meiner Generation können sich so richtigen Hunger gar nicht vorstellen. Wir haben eher mit dem Gegenteil zu tun, den Empfehlungen der Ärzte ein paar kg abzunehmen.
Wirklichen Hunger kennt bei uns die Generation der Kriegskinder, die uns aus ihren Hungererfahrungen gelehrt hat niemals ein Lebensmittel wegzuwerfen. Die Generation, die lernen musste, aus wenigen Le-bensmitteln ein Essen zu kochen, das wenigstens einmal am Tag satt machte. Es ist die Generation, die dafür sorgt, dass die Spenden für Brot für die Welt in Deutschland weltweit am höchsten sind und immer noch steigen. Und die brauchen wir, sehe ich doch die Nachrichten von weltweiten Dürren in den Getrei-deanbaugebieten und dass vermögende Menschen und Hedgefonds bereits begonnen haben, mit ihren Wettgeschäften auf Getreidepreise ihre Verteuerung noch mehr anzuheizen.

In den traditionellen Auslegungen wird diese Geschichte oft als „wunderbare Brotvermehrung“ bezeichnet. Dabei wird in ihr gar kein Brot vermehrt. Zumindest ist das nicht erzählt. „Die Speisung der Fünftausend“ ist sie überschrieben in der Luther-Bibel, und das trifft viel besser. Es wird erzählt, wie alle Menschen in Jesu Gegenwart satt werden.
Das ist der Kern der Geschichte. Wie kann das gehen, werden Sie fragen, wenn es tatsächlich nur fünf Brote und zwei Fische waren? Schauen wir uns die Begebenheit an:

Jesus redet stundenlang. Die Menschen hören zu und vergessen ihren Hunger.
Seine Botschaft lässt sich in zwei Sätze packen:
„Ich bin das Brot des Lebens“, sagt er.
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern aus dem dankbaren Bewusstsein gewollt, geliebt und ge-borgen zu sein, getragen von und verbunden mit einem liebenden Gott. Der Mensch lebt vom Wort Gottes, das ihm das zuspricht. Jesus erklärt es so, dass er ihre Sehnsucht trifft und den Hunger danach stillt.

Ein langer intensiver Tag nähert sich so dem Ende. Nach der Stärkung der Seele muss nun auch der Leib zu seinem Recht kommen. Irgendwann meldet sich der Hunger. „Jesus wird es schon richten!“, denken die Jünger. Von wegen: „Gebt ihr doch ihnen zu essen!“
Sie zählen nach und stellen fest: Das reicht nicht! Wir haben viel zu wenig. Fünf Brote und nur zwei Fische für so viele Menschen, das reicht einfach nicht. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie hektisch hin und her überlegen, wie viel Geld noch da ist, woher sie noch Brot erhalten können usw.

Jesus schaut zum Himmel. Er dankt dem Schöpfer aller Gaben für das tägliche Brot heute und seg-net die Speise. Frieden geht von ihm aus. Zufriedenheit, Dankbarkeit, Gelassenheit und Freude strahlen aus. Es ist wie ein Wunder!
Die Jünger beginnen zu teilen. Ihr Teilen stiftet an: viele kleine Wunder des Teilens in den übersichtlichen Tischgruppen, in denen sich alle gelagert hatten. Sie erinnern sich: Es ist ja der himmlische Vater, der dafür sorgt, dass das Wenige nur für heute und für jetzt reichen muss. Sie erinnern sich: So wie Gott ihre Vorfahren auf dem Weg durch die Wüste versorgt hat, so versorgt der himmlische Vater auch heute mit allem Nötigen. Gott wird schon dafür sorgen, dass es für alle reichen wird. …
… In unser Staunen, in unsere Sehnsucht hinein meldet sich der Protest der Realität!

Wie kommt es dann, dass Menschen hungern? Und nicht nur nach Brot, sondern auch nach Gerechtigkeit und würdigem Leben. Zu glauben, dass Gott dies alles nicht im ausreichenden Maße gibt, so dass es für alle reicht, glauben wir allerdings auch nicht. Diese Erde kann auch die doppelte Zahl von Menschen noch ernähren. – Aber dennoch: „Gott gibt das tägliche Brot allen“ – und die Wirklichkeit lässt uns klagen und protestieren: Gott, wie kann es dann sein, dass es doch noch so viele hungrige und durstige Menschen gibt?

Die Antwort darauf ist einfach aber hart: Weil viel zu viele Menschen sich mehr nehmen als sie brauchen. Weil viele Menschen nach dem Brot greifen, das Gott gibt, ohne darüber nachzudenken, was und wie viel sie eigentlich brauchen. Sie nehmen, was sie kriegen können, und sie beten nicht: Unser täglich Brot gib uns heute, sondern füllen heute ihre Speicher und Konten, damit es unbedingt auch noch für morgen reicht und für übermorgen und für den ganzen Winter.
Wer das tut, übersieht aber das entscheidende Wort in der Bitte: heute! Nur heute. Morgen ist ein anderer Tag, und morgen wird Gott wieder Brot geben. Wer sich heute, jetzt, mehr nimmt als er braucht, der miss-traut Gott und handelt gegen Gott, denn er handelt so, als ob er nicht glaubt, dass Gott morgen wieder Brot geben wird zu seiner Zeit.

Ich brauche nicht den Mechanismus des globalen Handelns zu erklären, um die bittere Wahrheit dieser Ein-sicht deutlich zu machen. Wer dauerhaft mehr nimmt als er braucht, nimmt es am Ende Gott weg, der es in seiner Schöpfung allen zukommen lassen will.

Wir können uns alle in Mitteleuropa nicht davon frei machen, dass wir mehr nehmen als wir brauchen.

Was machen wir mit dieser Einsicht? Globale Kampagnen unterstützen für einen gerechten Handel und uns einsetzen für gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften? Das ist gut. So wie wir in unserer Gemeinde beschlossen haben, in den Gemeindehäusern nur fair gehandelten Kaffee zu auszuschenken und nur Ökostrom beziehen.

Das ist ein Anfang. Aber es reicht nicht. Denn wir können das Problem nicht aus uns selbst hinausprojizie-ren und auf ein ungerechtes System schieben. Das wäre schon einmal ein Anfang. Das ist nur die halbe Wahrheit, dass wir die Strukturen verändern müssen. Die andere halbe Wahrheit ist: Wir sind die Men-schen, die immer mehr nehmen. Wir trauen Gott nicht zu, dass er uns genug gibt zum Leben auch ohne unsere Bitten. Wir müssen unser Verhalten ändern. Und was nach viel wichtiger ist: Wir müssen unsere Herzen ändern: Wir müssen lernen, Gott zu vertrauen, dass er genug gibt, und dass auch ich davon leben kann ohne meine Speicher zu füllen. Und wir müssen die alte christliche Übung wieder neu kultivieren, die in sich geht und danach fragt: Was brauche ich wirklich? Das ist keine Verzichtsübung, sondern eine nüchterne Abwägung der Bescheidenheit, darauf zu verzichten, meinen Geltungsanspruch nicht grenzenlos auszudehnen. Zugleich eine Einübung in das Vertrauen auf Gott.

Predigten wie diese laufen immer Gefahr zu Sonntagsreden zu werden. Jeder stimmt zu: Ja, das stimmt ja irgendwie, aber wir bleiben bald darin stecken, weil wir spüren, wir fühlen uns völlig überfordert damit, etwas zu verändern. Das möchte ich nicht. Wir können nur mit langem Atem Strukturen verändern. Der Schritt, den wir alle selber machen müssen, geht schneller, dass wir bei uns nachsehen.

Ich nehme mich da selber mit rein. Ich predige heute über Askese, aber ich lebe selber im Überfluss. Sie können jetzt sagen: „Das ist unglaubwürdig.“ Ja, das stimmt. Auch ich habe Mühe, mein Leben zu än-dern, alle 8 Wochen, immer wenn wir etwas Neues erfahren über die Herstellung von Lebensmitteln, dis-kutieren wir zu Hause neu über unseren Einkaufsmix: Wie viel Bio wollen wir uns leisten? Was kaufen wir im Hofladen, was auf dem Bauernhof, im Bioladen und im Supermarkt? Wo kaufen wir unsere Milch und welche, ich habe gerade faire Milch, Joghurt und Butter von der Upländer Bauernmolkerei im Hofladen um die Ecke entdeckt? Wo kriegen wir Kaffee, der bio ist und gleichzeitig fair? Wo können wir Fleisch kaufen, wo die Tiere besser gehalten werden? Usw. Sie können sich die Diskussionen vielleicht vorstellen.

Sie wird auch unterschiedich ausgehen, auch mit unterschiedlichen Ergebnissen abhängig davon, ob je-mand von Hartz IV, Grundsicherung leben muss oder über Anlagemöglichkeiten für Zehntausende auf dem Konto nachdenken muss oder mit seinem Einkommen irgendwo dazwischen liegt. Aber ohne Nach-denken, ohne Diskutieren mit Gott und untereinander geht es nicht, wir müssen es ver-antworten. Das ist ein Anfang.

Wir haben viel aus dieser biblischen Geschichte gelernt, wenn wir dies verinnerlichen:
Diese Haltung Jesu, „Unser Vater im Himmel, unser tägliches Brot gib uns heute“ beinhaltet im Grunde einen wichtigen Lösungsansatz in unseren Wirtschaftskrisen:
Wir spüren, dass wir seelisch nicht zufriedener und glücklicher werden mit einem Lebensstil, der ein immer mehr Haben und ein dauernd steigendes BruttoInlandsProdukt zum Ziel hat und darin Glück und Sinn verspricht.

Jesus warnt vor der Macht des „Mammon“, die sich nicht nur für die Armen, sondern auch für die Reichen lebenszerstörerisch auswirkt. Denn die Herrschaft der Gier führt nicht nur dazu, dass Menschen Gottes Schöpfung ausbeuten und ihren Mitmenschen das Notwendige zum Leben rauben, sondern dass sie auch ihre eigene Bestimmung – biblisch gesprochen ihre Seele – verlieren: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt doch Schaden an seiner Seele“ (Lk. 9,25)

Weniger ist mehr. Wir brauchen für unsere Zeit eine Haltung der Dankbarkeit und des Vertrauens in das Genug, ein Nachdenken über eine „Ethik des Genug“, die von Verschwendung und materieller Orientie-rung befreit und so einen Gewinn an Lebensqualität bringt. Dazu lädt das Evangelium Jesu ein.
Präses Schneider sieht in einer „Ethik des Genug“ eine befreiende Vision für die Armen und Rei-chen, in der die Armen bei uns und weltweit genug zum Leben haben. Und es geht darum, dass die Reichen es genug sein lassen können.

Amen.

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