Aufräumen
„Lange haben wir es vor uns hergeschoben: Aber letzte Woche war es so weit. Mein Bruder und ich haben uns verabredet, um in die leere Wohnung zu gehen. Um zu gucken, was weg kann und was wir aufheben wollen. Die leere Wohnung meiner Eltern. Meine Mutter ist gestorben, mein Vater lebt im Heim. Es war eine Weile unklar, ob er noch zurück kann und will. Jetzt ist es aber klar, das wird nichts mehr. Leere Wohnung ist natürlich nicht richtig. Denn sie ist voll mit den Dingen ihres Lebens. Voll mit Erinnerungen an die Zeit, als alles noch in Ordnung gewesen ist. Es ist beklemmend, sich durch die Räume, Schränke und Schubladen zweier Leben zu arbeiten. Vieles, was für sie sehr wertvoll gewesen ist, können wir jetzt nur noch entsorgen. Unser Verlust wird bei vielen Gegenständen ganz greifbar: die Tennisschläger oder die Angelausrüstung. Mein Vater hat im Sommerurlaub Fische für uns gefangen, die abends auf dem Grill landeten. Die Nähmaschine meiner Mutter, mit der sie mein Hochzeitskleid genäht hat. Und unsere Hosen x-mal geflickt. Die nehme ich auf jeden Fall mit. Mein Bruder will das Schachspiel. Sonntags haben wir als Kinder und Jugendliche mit meinem Vater gespielt. Damit es nicht zu ungleich war, haben wir ihm zu Beginn zwei Offiziere weggenommen. Es ist auch unsere eigene Kindheit, die uns begegnet beim Aufräumen. Und alles, was unsere Eltern uns mitgegeben haben: Liebe, Geduld, einen moralischen Kompass und vieles mehr. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Schwere Frage so am frühen Morgen. Im Glaubensbekenntnis beten wir: Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Ich gebe zu, es hat Zeiten gegeben, da habe ich diese Worte nicht mitgebetet. Zu weit weg, schwer vorstellbar, nicht mein Thema. Aber jetzt hat diese Vorstellung etwas sehr Tröstendes. Wie das aussehen soll? Schwer zu sagen. Aufgefahren in den Himmel, heißt es. Manche denken daher an Himmelsbilder mit weißen Wölkchen und Engeln drauf. Gar nicht so schlecht. Radikal, ja revolutionär ist diese Beschreibung in der Bibel: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Die Bibel, Offenbarung 21,1). Tod, Leid, Geschrei und Schmerz haben dort keinen Platz. Es gibt keinen Krieg und kein Unrecht. Alle Tränen werden abgewischt. Das ist eine völlige Neuschöpfung des Bestehenden. Ob es dort Schachspiele und Nähmaschinen gibt? Wir werden sehen. Aber vorher rate ich uns allen: Sorgen wir dafür, dass es ein Leben vor dem Tod gibt. An das wir uns gerne erinnern.“
Dieser Beitrag erschien am 24.3.2020 bei Kirche im WDR. Autorin Dr. Uta Garbisch