Der leere Bilderrahmen

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„Der Anlass für das Wiedersehen ist keineswegs erfreulich. Die Kinder hatten sich gezofft. Es waren unschöne Worte gefallen, nun wollen wir reinen Tisch machen – sie und ich – immerhin sind wir uns sympathisch. Auch weil wir an den gleichen Gott glauben. Das verbindet. Obwohl sie aus Korea kommt. Oder gerade deshalb. Als ich zu ihr komme, sitzen die Jungen aber schon einträchtig am Tisch und essen Donuts mit bunten Perlen. Von Streit keine Rede. Dann verziehen sich die Beiden und wir bleiben zurück, allein an dem kleinen Tisch in der Küche. Es hat etwas von Korea. Zumindest so wie ich mir Korea vorstelle. 30. Stock, alles eng, weil teuer und optimiert.Natürlich sind es die Krankheiten. Sie bringen alles in Gang. Die OPs, die überstandenen und anstehenden. Bei ihr, bei uns. Und so kommen wir auf die Toten zu sprechen. Zwei Menschen hat sie verloren, im vergangenen Jahr. Ihre Schwiegermutter ist gestorben und der Mann einer Freundin. Beide von jetzt auf gleich. Einfach so. Die Schwiegermutter in einem fortgeschrittenen Alter, der Mann  ihrer Freundin viel zu jung – mit vier kleinen Kindern. Es hätte auch ihr Mann sein können, sagt sie. Nun habe sie oft Angst. Er jette viel durch die Welt. New York, London, Tokio. Von einer Zeitzone rase er in die nächste und manchmal bleibe er am  Flughafen einfach hängen. Dann habe etwas nicht funktioniert: Die Natur, die Technik, der Mensch. Es seien die ersten Toten in ihrem Leben gewesen. Seitdem sei alles anders. Sie mache sich jetzt diesen Stress nicht mehr. Mit den Kindern und dem Anspruch, immer allen helfen zu wollen. Außerdem habe sie eine tolle Predigt gehört. Der Pfarrer hatte einen Bilderrahmen mitgebracht. So einen richtig schönen aus Holz, ziemlich groß, aber ohne Bild. Das habe sie sehr beeindruckt. Diese leere Fläche. Einfach mal etwas leer zu lassen im Leben, im Alltag. Nicht immer alles zu planen, sondern einfach mal loszulassen, sich lassen, andere lassen. Das habe etwas mit Freiheit zu tun. Und dann schauen, was passiert. Seitdem näht sie kleine Beutelchen. Das sei eine sehr meditative Arbeit. Eine sehr filigrane Arbeit, die viel Geduld erfordere. Sie ist auch gespannt, was das mit ihren Kindern mache. Das Loslassen und lassen, sich selbst überlassen. Sie gehe jetzt diesen Weg, müsse ihn gehen. Ihr Mann sei da anders – er gehe seinen Weg. Mich hat das Gespräch sehr beeindruckt. Der leere Bilderrahmen. Und als ich zu Hause war, wusste ich was noch anders war: Sie hat aufgehört, ständig zu lächeln.“

Der Beitrag wurde am 13.1.2020 bei Kirche im WDR gesendet. Autorin: Sabine Steinwender