Unsere Buchtipps 2020

Januar / Februar 2020

Delia Owens

Der Gesang der Flusskrebse

Roman

hanserblau 2019, 459 Seiten, 22 Euro
cover_delia_owens_der_gesang_der_flusskrebseDelia Owens erzählt die Geschichte von Kya Clark in den 50iger Jahren
und parallel dazu von polizeilichen Ermittlungen gegen sie in den Jahren
1969 / 1970.

Gleich zu Beginn des Romans wird eine männliche Leiche gefunden, und für
die Bewohner von Barkley Cove ist Kya, das Marschmädchen die Mörderin.

Ihrer Ansicht nach hat Kya Chase Andrews aus Rache getötet da er nicht sie, sondern ein anderes Mädchen heiraten wollte.

Kya lebt mit ihrer Familie in tiefer Armut in einer schäbigen Hütte im Marschland von North Carolina. Als erst die Mutter, dann ihre vier Geschwister und zuletzt auch ihr Vater geht, beginnt für das kleine Mädchen ein Kampf ums Überleben. Ohne Zugang zu Menschen ist Kya mit 7 Jahren auf sich allein gestellt. Möwen, Reiher, Sandbänke, Salzwiesen und das Meer werden zu ihrer Familie.

Sie nimmt die Tiere als ihre Freunde an, da niemand da ist, mit dem sie reden kann. Mit dem Boot des Vaters fährt Kya zum Fischfang und es gelingt ihr, Muscheln und später auch geräucherten Fisch zu verkaufen. Mit dem Geld kann sie sich Lebensmittel, Benzin und Streichhölzer kaufen.

Zwei junge Männer werden auf die schöne junge Frau aufmerksam, Kya öffnet sich der Liebe — mit dramatischen Folgen.

Delia Owens erzählt in einer wunderschönen, poetischen Sprache, atmosphärisch dicht und unglaublich spannend.

Die Verknüpfung von Liebesgeschichte und packendem Kriminalroman haben mich von Anfang an in den Bann gezogen. Eines der besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe.

 

Susanne Preiß

 



 

März / April 2020

Wiebke Lorenz

Einer wird sterben

Psychothriller

Fischer Scherz 2019, 344 Seiten
cover_wiebke_lorenz_einer_wird_sterbenDie 32-jährige Stella Johannsen lebt mit ihrem Mann Paul in einer
gehobenen Wohngegend. Sie ist mal wieder für mehrere Tage allein zu
Hause, da ihr Mann Pilot bei einer Cargo Gesellschaft ist und weltweit unterwegs.

Eines Morgens steht dann plötzlich ein schwarzes Auto in dem ein Mann und eine Frau sitzen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Tagelang steht
das Auto dort und die Insassen sitzen regungslos.

Bei Stella werden automatisch Erinnerungen an einen sechs Jahren zurückliegenden Unfall wach, den sie zusammen mit ihrem Mann Paul hatte. Seit diesem Unfall ist Stellas Gesicht entstellt.

Kommen einem anfangs die Besorgnisse von Stella übertrieben vor, häufen sich im Verlauf der Handlung langsam seltsame Begebenheiten, die eine subtile Spannung steigen lassen. Die zunehmende Spannung wird von den immer größer werdenden Ängsten Stellas erzeugt, deren Ursprung in ihrer Vergangenheit liegen und mit dem Unfall zu tun haben.

Ein Thriller der ohne Blut und Gewalt auskommt, mit menschlichen Ängsten spielt und eine beunruhigende, stetig bedrohliche Atmosphäre aufbaut.

 

 

Susanne Preiß

 



 

Mai / Juni 2020

Eric–Emmanuel Schmitt

Nachtfeuer

Was ich in der Wüste erlebte

S. Fischer Verlag, 201 Seiten
cover_eric_emmanuel_schmitt_nachtfeuerMit 28 Jahren folgt der Philosophiestudent Eric–Emmanuel Schmitt mit einer bunt
gemischten zehn köpfigen Reisegruppe den Spuren des französischen Mystikers
und Eremiten Charles de Foucauld in die Wüste Algeriens. Dieser lebte Anfang
des 20. Jahrhunderts bei den Tuareg in der Sahara und errichtete auf dem
Assekrem–Gipfel eine Einsiedelei.

Abayghur der Tuareg–Reiseführer lehrt die Reisenden viel über das karge Leben
in der Wüste und obwohl er und Eric keine gemeinsame Sprache sprechen,
tauschen sie sich intensiv aus und werden Freunde.

Schmitt sucht Antworten auf die Fragen nach dem Sinn seines Lebens, findet aber
nur das Nichts der Wüste.

Konfrontiert mit der eindrucksvollen Schönheit der Wüste entwickeln sich unter den Teilnehmern der Reisegruppe spannende Streitgespräche über die großen
Fragen der Menschheit.

Bei einer Bergbesteigung verliert Schmitt seine Gruppe und muss eine Nacht allein und schutzlos verbringen. Um nicht zu erfrieren, gräbt er sich in den Sand ein. In dieser Nacht macht Schmitt eine für ihn existenzielle religiöse Erfahrung, die ihn überleben lässt. Er erfährt das ganze Ausmaß der Schöpfung allein unter dem Sternenhimmel — und damit seiner Existenz.

Schmitt hat trotz allem Kraft und Energie am nächsten Tag den richtigen Weg, zurück über den Berg und einen anderen Abstieg zu finden, um seine Gruppe wiederzufinden.

Diese Nacht wird für Schmitt wegweisend für sein Denken und Schreiben, insbesondere für seinen Glauben. In seinen weiteren Büchern setzt sich Schmitt mit den Weltreligionen auseinander.

Ein kleines schmales Buch, atmosphärisch dicht geschrieben mit einer leisen poetischen Sprache. Es gibt tiefe Einblicke in die Innenwelt des Autors, schildert ein mystisches Erlebnis von dem er wieß, dass es nur sehr schwer zu glauben ist. Mich hat das Buch sehr zum Nachdenken angeregt — es geht nicht nur um die Existenz Gottes, sondern auch um das Thema Freundschaft und erfülltes Leben.

 

Susanne Preiß

 



 

Juli / August 2020

Cecilie Enger

Die Geschenke meiner Mutter

Roman

Penguin Verlag 2016, 272 Seiten, Taschenbuch
cover_cecilie_enger_die_geschenke_meiner_mutterIn ihrem siebten Buch erzählt die norwegische Autorin Cecilie Enger die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Familie.

Aufgrund einer fortschreitenden Alzheimer Erkrankung ist Cecilies Mutter nicht mehr imstande selbstständig zu leben und muss in einem Heim untergebracht werden.

Cecilie steht nun vor der schwierigen Aufgabe, das Elternhaus auszuräumen.

Dabei findet sie eine Schublade voller Papiere: ein Abiturzeugnis aus dem Jahr 1952, ein ärztliches Attest über Rückenschmerzen …und einen Stapel grauer Schreibblätter, mit einer großen Büroklammer zusammengeheftet.

Es sind Listen der Weihnachtsgeschenke in nummerierter Reihenfolge, die erste von 1963, die letzte von 2003.

Über einen Zeitraum von 40 Jahren hat die Mutter ohne Wissen der Familie alle umsichtig gewählten Weihnachtsgeschenke vermerkt, die in der Familie gegenseitig getauscht wurden.

Da die Mutter nicht mehr imstande ist, Fragen zu beantworten, beschäftigt sich Cecilie nun intensiv und in chronologischer Reihenfolge mit den in den Listen aufgeführten Namen, Jahreszahlen und Geschenken.

Erinnerungen werden wach und längst verloren geglaubte Familiengeschichten und Familiendramen tauchen wieder auf.

Cecilie schöpft viel Kraft und Trost aus dieser Auseinandersetzung. Es hilft ihr bei der schweren Aufgabe, schon zu Lebzeiten Abschied von ihrer Mutter nehmen zu müssen.

Gleichzeitig erzählt dieser berührende Roman die Geschichte einer einflussreichen, bürgerlichen Familie, die wie ein großes Netz alle Familienmitglieder miteinander verbindet und trägt – und über die große Herzensfreude, die das Schenken bereitet.

 

Susanne Preiß

 



 

September / Oktober 2020

Martha Hall Kelly

Und am Ende werden wir frei sein

Roman

Limes Verlag, 688 Seiten
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Inspiriert durch die Lebensgeschichte der New Yorkerin Caroline Ferriday
beleuchtet Martha Hall Kelly das Schicksal von drei verschieden Frauen während
des 2. Weltkrieges, deren Schicksale und Lebensläufe unterschiedlicher nicht sein könnten.

1939: Caroline Ferriday arbeitet im französischen Konsulat. Sie organisiert zunächst Visa und Hilfspakete für französische Waisenkinder.

Die Polin Kasia lebt in Lublin, unterstützt den Widerstand und als die deutschen Truppen in ihrem Dorf einmarschieren, werden sie und ihre Mutter und Schwester
ins Lager Ravensbrück verschleppt, in dem nur Frauen untergebracht sind.

Die Düsseldorferin Herta Oberheuser ist mit ihrem Medizinstudium fertig und sieht nun laut Plan der Nationalsozialisten einem Leben als Hausfrau und Mutter mit Schrecken entgegen. Eines Tages erhält sie ein mysteriöses Angebot für eine Anstellung als Ärztin in einem Umerziehungslager.

Geschickt gelingt es Marthe Hall Kelly diese drei Frauenschicksale bewegend, fesselnd und aufwühlend miteinander zu verweben.

Der brillante Erzählstil und die damit verbundene Sprachgewalt machen dieses Buch mit seinen 688 Seiten zu einem absoluten Leseerlebnis, dessen Inhalt den Leser noch lange in Bann hält.

 

Susanne Preiß

 



 

November / Dezember 2020

Ewald Arenz

„Alte Sorten“

Roman

DuMont Verlag, 255 Seiten
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Sally, 17 Jahre alt ist aus einer psychiatrischen Klinik geflohen. Sie ist zornig auf sich und auf alle anderen, ist auf der Flucht vor allem und jedem. Sie hasst Regeln, Vorschriften, Fragen und will einfach nur in Ruhe gelassen werden.

In den unterfränkischen Weinbergen begegnet ihr die Bäuerin Liss, die sie anspricht, da ihr Hänger eingeklemmt ist. Mit vereinten Kräften schaffen sie es, gemeinsam den Hänger frei zu bekommen. Sally gefällt an der starken, wortkargen, allein auf einem Hof lebenden Mittvierzigerin, dass sie keine Fragen stellt, keine schnellen Urteile fällt und nicht sändig gemustert wird. Liss bietet ihr an, auf dem Hof zu übernachten.

Langsam im Laufe der folgenden Wochen entwickelt sich eine ganz besondere Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Frauen.

Beide sind auf ihre Art einsam, lassen sich aber behutsam und vorsichtig auf den anderen ein.

Bei den gemeinsamen Arbeiten auf den Feldern, im Wald und im Birnengarten beginnt eine zaghafte Nähe zu wachsen.

So erfahren sie nach und nach von den Verletzungen, die ihnen von anderen Menschen zugefügt wurden.

Der Titel „Alte Sorten“ bezieht sich auf alte, ungewöhnliche Birnensorten mit einem ganz besonderen Geschmack, die Liss in ihrem Birnengarten hat.

Ewald Arenz gelingt es, beide Charaktere glaubhaft und mit großer Empathie zu zeichnen Der Autor springt immer wieder zwischen den beiden Perspektiven der Frauen hin und her. Da jede ihre eigene Art zu denken und zu sprechen hat, kann man sich als Leser gut darauf einlassen.

Stilistisch kunstvoll mit einer sich langsam aufbauenden Spannung wird der Leser in den Bann gezogen und der Blick auf das Wesentliche gelenkt: Entschleunigung und die Besinnung auf das Wesentliche als Essenz, um im Leben glücklich zu sein.

 

Susanne Preiß

 


 

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